Das Schlaraffische Spiel

Das Wesen der Schlaraffia, verdeutlicht an einem Auszug aus einer Beilage zur ZEIT, dem Zeitmagazin aus dem Jahr 1983.

 

Lulu Ihr Ritter vom UHU!

Es gibt mehr Narren unter uns als wir ahnen: Einzug durch ein Spalier von Rittern mit scheppernden Holzschwertern - mit diesem Begrüßungsritual beginnt Woche für Woche in aller Welt der wundersamste deutsche Herrenabend. "Schlaraffia" heißt der exklusive Männerbund, der seit nunmehr 125 Jahren (Anmerkung: heute, 2011, seit 152 Jahren) im Zeichen des Uhus sein unbekanntes Wesen treibt.

Narren für eine Nacht

Angetreten nach schlaraffischem Gesetz sind die Würdenträger der "Francofurta"; die Umhänge in den weiß-roten Farben ihres Reyches", mit Orden und Ahnen geschmückt, auf dem Barett ihr Rittername. Der seit 29 Jahren fungierende Oberschlaraffe "Mach´ ich der Nervenkitzler" (im profanen Leben Zahnarzt) wird flankiert von seiner Herrlichkeit "Parat die Ameise" (pensionierter Oberamtsrat) und Seiner Gestrengen Junkermeister "Schmissig" (Wirtschaftsjurist). In der hinteren Reihe feixen, von links nach rechts der Schlaraffen vieledler Kantzler "Aber-Trotzdem der Aufgeweckte" (Kaufmann), Vicekantzler "Agon der Hieb- und Strichfeste" (Architekt), Marschall "Quell der lebenslustige Bier-Bendiger" (Ingenieur) und Ceremonienmeister "Fexeborn" (Kaufmann). Weltweit gibt es 12000 dieser hintersinnigen Käuze. Nächsten Herbst werden sie zu ihrem alle fünf Jahre stattfindenden "Allschlaraffischen Concil" in Berlin einreiten: "die letzten Ritter der Romantik".

Gelobet beim UHU, OHO, AHA

Mit Mantel und Koffer legen die seriösen Herren an der Garderobe auch Beruf und Titel ab. Fortan reden sie sich nur noch mit Ritternamen an. "Dem Uhu gilt der erste Gruß": Beim Betreten ihres Versammlungslokals, das sie "Burg" nennen, verbeugen sich die Schlaraffen ehrfürchtig vor ihrem Wappentier; in Bayreuth ist der Uhu aus Kupfer, und die "Sassen" tragen Scherpen über dunklem Anzug.

Zu den bizarren Ritualen dieser Ritter wider den tierischen Ernst zählt auch die "Ahallafeyer": Zur Totenehrung verneigen sich die Limburger Sassen mit gesenktem Schwert vor dem Ahallaschrein mit den Bildern ihrer verstorbenen Uhubrüder.

Höhepunkt im Schlaraffenleben: der Ritterschlag. In der Gralsburg zu Bayreuth zelebriert ihn im Hermelinumhang "Qell-Bert der Juris-dicke", ein pensionierter Gerichts-Vizepräsident. Der Weihen teilhaftig wird Junker Richard, ein 60-jähriger Augenarzt, nunmehr Ritter "Glau-Kuss der Edelzwicker".

Ein Bericht von Peter Sager und Timm Rauert (Zeitmagazin von 1983)

Freitag Abend, kurz vor acht. Frankfurt-Oberrad, eine gottverlassene Gegend am Stadtrand. Das Haus an der Bahnschranke hat keinen Namen. Eine Laterne über der Tür verbreitet trübes Licht. Die Laterne trägt das Zeichen des Uhu.

Ab und zu hält ein Auto, Männer mit schwarzen Aktenköfferchen steigen aus und klingeln. Die meisten kennen sich, einige sind zum ersten Mal hier. Alle begrüßen sich mit dem Wort "Lulu".Drinnen öffnen die Herren ihr Köfferchen. Zum Vorschein kommt ein weiß-roter, wallender Umhang, mit Orden geschmückt. Den ziehen sie über ihren Anzug und setzen ein rotes Barett auf. Ehrerbietig, die Arme über der Brust gekreuzt, verbeugt sich jeder vor einem ausgestopften Vogel. Heute ist "Uhutag".

"Nehmt diesen Pilgerhelm", sagt Ritter Mach´ ich der Nervenkitzler. Der Zahnarzt Dr. Armin Wagner reicht mir eine weiß-rote Mütze. Ich bin zu Gast bei der Schlaraffia. "Das Reych werde seßhaft", kommandiert einer der drei Oberschlaraffen, "Marschall, rühret das Tamtam!" Ein Gong ertönt, wir nehmen an langen Holztischen Platz. Von seinem Thron unter einem roten Baldachin erklärt der Fungierende: "Die 2602. Sippung ist eröffnet."

Zugleich mit Mantel und Aktenkoffer haben die Herren Namen, Beruf und Titel an der Garderobe abgelegt. Fortan reden sie sich nur noch mit "Ihr" und "Euch" und ihren Ritternamen an. Der Zinkenmeister intoniert das Eingangslied, "Schon wieder ist der Abend da". Inbrünstig singen 38 seriöse Herren: "Es wachse unsre Narretei/zugleich mit unsrem Hirsebrei!"

Schlaraffia oder die wundersame Verwandlung von Bürgern in Narren. An einem Abend wie diesem tituliert man den Frauenarzt Curt Lehmann füglich "Ritter Digitus am Scheidewege" und den Opernsänger Heinz Fink "Tenorico in allen Gassen". Mit von der Partie sind Bankiers (Swing der Kreditöse), Richter (Schnuffi der Langfingerschreck), Rechtsanwälte (Klags der Fürsprech) und Ingenieure (Inch der hoechst farbige Kunststoffel).

"Wollt Ihr Quell oder Lethe", fragt mich Sir Oblong. Quell ist Bier und Lethe Wein, Brandlethe Schnaps. Das wird "gelabt", nicht getrunken. Essen heißt "Atzung", und die ist eher bescheiden. Ein Klub von Schlemmern sind die Schlaraffen nicht.

Jede "Sippung" beginnt mit der Begrüßung fremder "Sassen". Die Ritter erheben sich, bilden mit gekreuzten Schwertern ein Ehrenspalier, und der Ceremonienmeister verkündet: "Es reitet ein das Hohe Reich Lulutetia Parisiorum, vertreten durch seinen Ritter Lulutetius der Spree-Pariser" Wo sonst würde Heinz Böhlke, auf Geschäftsreise von der Seine am Main, mit einem donnernden "Lulu" empfangen? An diesem Abend kann die "Francofurta" sogar einen Schlaraffen aus Afghanistan begrüßen. Unter ohrenbetäubendem Klappern der Holzschwerter tritt Ritter Thai-Pan der Ost-West-Verbindende vor den Frankfurter Thron: ein Angehöriger der deutschen Botschaft in Kabul auf Heimaturlaub.

Wo man deutsch spricht, gibt es auch Schlaraffen. Sie treffen sich in den Gralsburgen von Bayreuth und Chicago, in der Potomacburg in Washington und in der Rattenburg von Hameln. Sie sippen nach den Riten in der Sylt-Burg und in der Pantherburg von Pretoria, in der Windmühlenburg in Madrid und in der Aztekenburg in Mexico City. Schlaraffia ist überall.

Aber was ist Schlaraffia? Ein Mummenschanz verspielter Männer? Schlaraffia ist exklusiver als der nobelste Golfclub, geheimer als der Ku-Klux-Klan, närrischer als jeder Karnevalsverein.

"Wir bitten Euch, Eure seßhaften Sitze einzunehmen": Seine Herrlichkeit Großfürst Mach´ ich läßt die Protokolle der letzten Sippung verlesen, Gereimtes und Ungereimtes. Wieder steigt ein Lied, dann nähern wir uns dem Höhepunkt, der Knappenprüfung.

Seine Gestrengen Junkermeister Schmissig zitiert den Knappen 336 vor den Thron. "Mit Freuden und sofort", sagt, forsch und etwas blaß, der Bankkaufmann Michael Beyer, der nach Höherem strebt. Noch ist er in der Hierarchie des Bundes nur eine laufende Nummer; als Junker darf er bei seinem Vornamen genannt werden, aber erst als Ritter stehen ihm Ämter, Würden und Wonnen Schlaraffias offen.

Ritter Schulrat - jeder hat hier einen Posten - beginnt die Prüfung mit der schwersten aller Fragen: "Was ist Schlaraffia?" Knappe 336 geht auf Nummer Sicher: "Schlaraffia ist die innige Gemeinschaft von Männern, die in gleichgesinntem Streben die Pflege der Kunst und des Humors unter gewissenhafter Beachtung eines gebotenen Ceremoniales bezweckt und deren Hauptgrundsatz die Hochhaltung der Freundschaft ist".

So steht es, in schönstem Vereinsdeutsch, im ersten der 65 Paragraphen des schlaraffischen Gesetzbuchs. Dahinter aber steht die Geschichte der exzentrischten Vereinsgründung des 19. Jahrhunderts, ein kurioses Kapitel aus dem Bilderbuch der deutschen Seele.

Am Anfang war ein Stammtisch. Im Wirtshaus "Beim Freund" in Prag verkehrte 1859 eine Gruppe von Musenjüngern, die sich als "Proletarier-Club" von der Künstlergesellschaft "Arkadia" abgespalten hatte. Am 10. Oktober tauften die Sezessionisten ihre Tafelrunde "Schlaraffia". Was das Wort bedeutet, wissen die Schlaraffen bis heute nicht. Aber seitdem haben sie eine eigene, schlaraffische Zeitrechnung: Für sie gibt es kein 1984, sondern nur a.U. 125 (anno Uhui), das 125. Jahr seit Gründung der "Allmutter Praga"".

Als Schutzpatron wählten sie den Uhu, ein eher ungeselliges Tier, das seit Athenes Zeiten auftaucht, wenn es um die Künste und andere Eulenspiegeleien geht. Auf ihren Sitzungen kultivierten die Prager Nachtvögel eine altertümliche Sprechweise und ein pompöses Zeremoniell. Aha-, Uhu- und Oho-Humpen kreisten, und da mag dann auch einer lallend den Schlaraffengruß gefunden haben: "Lulu", ein Kunst- und Kinderwort wie "Dada", der Kampfruf der Dadaisten.

Harmloser als jene nach der Jahrhundertwende spielten auch die "Luluisten" den Bürgerschreck. Enttäuscht von der Restauration nach 1848, verbittert über Ämter- und Adelsdünkel der böhmischen Landeshauptstadt persiflierten die Schlaraffen hohle Formen der bürgerlichen Gesellschaft.

Es war eine introvertierte Revolte, eine Flucht nach innen, aus der profanen Welt in ein ideales Mittelalter. Schlaraffia, das war Ritterkult und zugleich Karikatur, romantische Sehnsucht, durch romantische Ironie gebrochen, eine ästhetische Reaktion auf den Zeitgeist. Dies ist der politische Hintergrund eines scheinbar so unpolitischen Vereins.

Die Schlaraffen der "Praga" führten eigene Opern und Theaterstücke auf, und bald gab es die ersten Filialen: 1865 die "Berolina", 1872 die "Lipsia" in Leipzig. Unaufhaltsam pflanzte der Uhubund sich fort, bis Reval, San Francisco und Shanghai. Im Jahre 1914 umfaßte "Allschlaraffia" 197 Reyche, allein 16 in Amerika. Aus dem Prager Kulturbund war ein Weltbund geworden.

Als das Dritte Reich anbrach, hatten die Schelmen-Reyche nichts mehr zu lachen. Ihre weltweiten Verbindungen, ihre rätselhaften Rituale und humanistischen Ideale, das alles war den Nazis tief suspekt. Trotz arischer Anbiederungsversuche mancher Schlaraffen wurde ihr Bund 1935 "freiwillig" aufgelöst, im selben Jahr wie die Freimaurerlogen.

Die "uhufinstere Zeit", wie Schlaraffen die Hitlerjahre nennen, setzt sich heute fort in den "uhufinsteren Ländern". In der DDR und anderen sozialistischen Staaten ist eine Vereinigung komischer Käuze ein Sicherheitsrisiko. Was sich da hinter verschlossenen Türen abspielt, sind das nicht dekadente Riten der Bourgeoisie, dubioses Deutschtum, verkappte Anarchie?

Von Leipzig bis Prag, von Breslau bis Budapest in ihren alten Hochburgen sind die Schlaraffen heute verboten (Anmerkung: seit 1990 sind die Verbote aufgehoben). Darum wird bei der "Francofurta" und andernorts zu Beginn jeder Sippung eine blaue Kerze entzündet, für die "Brüder im finsteren Land".

Was treiben sie in ihren "Burgen" so Verdächtiges, daß man sie fürchten müßte? Nach der Knappen-Prüfung bahnt sich bei der "Francofurta" Unerhörtes an: ein Duell. Ritter Carozza, beleidigt von Ritter Lufthansl, wirft ihm den Fehdehandschuh hin.

Sind die Schlaraffen eine schlagende Verbindung? Wahl der Waffen. Die Kontrahenten einigen sich auf "geistig geschärft". Ins Profane übersetzt: Sie wollen etwas dichten oder singen zu einem beliebigen Thema, das der fungierende Oberschlaraffe ihnen stellt. Der wählt das sinnige Motto: Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Reue." Spätestens in zwei Wochen müssen sie zum Sängerkrieg antreten, sonst droht "furchtbarste Pön", Halseisen oder Burgverlies. Aber ein echter Schlaraffe ist "allzeit raufbereit und labefest"; im Duell kann er brillieren - und bei der "Fechsung". Was ist das nun wieder?

Ritter Schmissig schreitet zur "Rostra", dem Vortragspult. Über zwei Genies mit Namen Wolfgang wolle er reden, sagt Egon Schönpflug, im profanen Leben Wirtschaftsjurist, und parliert über Mozarts Beziehung zu Goethe; kein akademisches Referat, aber auch mehr als eine Büttenrede - eben eine "Fechsung". Dafür erhält der wackere Recke einen "Ahnen", einen Mini-Orden, die es zu Tausenden gibt, und als besondere Auszeichnung einen "Bangk". Einen was? Im Nu ist rings um mich der Teufel los. Jeder Sasse im Saal klatscht rhythmisch in die Hände, schlägt fünfmal mit beiden Händen zugleich auf den Tisch, stampft fünfmal mit beiden Füßen auf den Boden und ruft fünfmal "Ha". Das etwa ist ein "Bangk".

Nach diesem Höllenspektakel spielt der Hofnarr zwei Walzer des Ehrenschlaraffen Polonaise (Chopin), brillant wie im Konzertsaal, und schon "fechst" der Ritter Nansens, ein 77-jähriger Philologe, "Touristik-Limericks": "Was willste, oh Freund, in der Wüste, dir rinnt nur der Schweiß von der Büste. Ich rate dir drum, geh lieber drum rum, denn biste erst drinnen, verglühste."

Das ist Schlaraffia: Witz und Ernst im schnellen Wechsel, Chopin neben Morgenstern, Profis neben Amateuren, meist bunter Abend und manchmal Glasperlenspiel. Schlaraffia ist eine hohe Schule der Schlagfertigkeit. Jeder kann, keiner muß hier etwas zum besten geben. Mancher will immer tönen, mancher sagt nie was (und heißt prompt Ritter Redefluß), mancher macht hier zum erstenmal den Mund auf: "Ich habe durch die Schlaraffen gelernt, vor anderen frei zu sprechen", sagt Ritter Lachfex, ein Limburger Arzt.

Schlaraffia als Lebenshilfe? "Wir hatten einen, der war depressiv, kurz vorm Selbstmord. Seitdem er Schlaraffe ist, ist er ein andere Mensch", erzählt Ritter Saladin, ein Stuttgarter Journalist. "Und wie gut zu wissen: wenn ich älter werde, bin ich nicht allein ,ich hab´ immer eine Menge Freunde, in der ganzen Welt." Auch das ist Schlaraffia: ein ideales Altersheim, eine feste Burg für fahrende Ritter. "Als meine Frau starb, wurde ich Schlaraffe" sagt der 83-jährige Rentner Ulrich Schrecker, genannt Schröck von Schreckenstein. In jeder Sippung beglückt er seine Limburger Sassen mit Reiseberichten: "Zwischen Kiel und Kanada bin ich schon in über 200 Reychen eingeritten." "Alles auf Seniorenkarte", witzelt ein Junker.

Es gibt wahre Berufsschlaraffen: Sind sie erst einmal Rentner, reiten sie von Reych zu Reych, laben sich durch die Lande, sammeln Orden, Titel und Ämter. "Das ist unsere Eitelkeit", bekennt Ritter Parat die Ameise, pensionierter Oberamtsrichter, jetzt passionierter Oberschlaraffe. "Man kommt nie mehr los davon", warnt er und erzählt die Geschichte von Erbherrlichkeit Devast dem Großen vom Böhmerwalde: ein Holzhändler, der pleite ging, weil er sich nur noch mit der Schlaraffia beschäftigte. Derlei Besessenheit versteht, wer die "Stammrolle" kennt, das "Who is Who ?" der Uhuritter. Mit dieser Adelsgalerie verglichen ist der Gotha ein Armenregister.

Nun gibt es aber nicht nur den Baedeker durchs Schlaraffenland, sondern sogar eigene "Schlaraffenreisen". Die veranstaltet etwa Hanns Schmidt aus Remscheid, genannt Ritter Raudi DER reisefrohe Spötter: Der "6.Silvester-Flugroßritt" führt nach Bangkok zum 10. Stiftungsfest der Castrum Siamesiae, und im Mai - Schlaraffen hört - reiten wir ein im 100-jährigen Reych Milwaukia. Groß ist der Wendekreis des Uhu. Da staunt der Pilger und der Ritter rüstet sich. Wo aber bettet er in der "Profanei" sein Haupt? In "Derer Schlaraffen Zeyttungen", dem Verbandsorgan, findet er auch Hotelanzeigen mit "Schlaraffenrabatt". Sollte es etwa auch Geschäftsschlaraffen geben? "Es kann in einer kleineren Stadt durchaus zum guten Ton gehören, Schlaraffe zu sein", sagt Ritter Florett, ein Stuttgarter Kaufmann, derzeit Vorsitzender des weltweiten "Allschlaraffenrats". "Und wenn die Honoratioren alle dazugehören, dann hat die Schlaraffia natürlich gesellschaftliche Bedeutung. Da wird vielleicht manche kommunalpolitische Entscheidung vorgefertigt."; Wenn etwa in Aschaffenburg ein Landrat und ein Dutzend Millionäre, Fabrikanten und Brauereibesitzer wie Ritter Bräufritz der Quellbock zur Schlaraffia gehören, dann läuft da unter Uhubrüdern wohl so einiges, wovon wir Profanen nichts wissen.

Wissen wir überhaupt, wer alles Schlaraffe ist?

Der Schauspieler Gustl Bayrhammer ("Meister Eder"), der Karnevalist Ernst Neger, der ZDF-Meteorologe Uwe Wesp (Taifun der Quellfrohe), der Ex-CSU-Bundestagsabgeordnete Ekkehard Voigt (Zapfenstreich der Bänkler) und der ehemalige Bundesbankdirektor Lutz Roland (Don Monedos der wandernde Scheinwerfer) - alle sind Schlaraffen.

Waren früher Künstler wie Léhar, Mahler, Ganghofer oder Rosegger in der Überzahl, so streben heute mehr Ärzte, Juristen und Geschäftsleute ins Schlaraffenland. Wenn dort der Bundeswehrsoldat Militans der Fried-fertige mit dem Lehrer Schinderhannes Ritter spielt; wenn der Frauenarzt Wehentrost von der Zangenburg mit dem Ingenieur Atomulus um die Wette "fechst", wenn der Schneider Oese der Zwirnvergnügte den Bankdirektor Verleihnix ins Burgverlies wirft: Berufs- und Standesunterschiede zählen da nicht. Das schlaraffische Rollenspiel gibt jedem eine Chance und allen eine Bedeutung, die nichts bezweckt. Da kann ein Angestellter Oberschlaraffe sein und der Generaldirektor sein Mundschenk - Gruppentherapie ohne Guru. Einmal in der Woche aussteigen, ein anderer sein, Narr für eine Nacht, fröhliche Anarchie und strengste Hierarchie, das ist das schlaraffische Gesetz. Altdeutsche Sehnsucht nach Fürst und Reich, nach feudalen Zeremonien im demokratischen Einerlei, auch das spielt mit.

Welcher deutsche Verein wäre autoritärer, perfekter organisiert als Schlaraffia e. V.? Wo würde Vereinsmeierei zugleich parodistischer betrieben als hier? So schrill die 12000 Schlaraffen in ihrem "Uhuversum" spuken, so unauffällig sind sie in der Profanei. Nur an der Rolandnadel könnt ihr sie erkennen: eine kleine weiße Perle am Revers. Das signalisiert Erlebnisse der anderen Art.

Sippung bei der "Stuttgardia". Der Fungierende verkündet, Ritter Reglus aus Ludwigshafen sei "in Ahall eingeritten". Alle erheben sich, rufen mit gedämpfter Stimme dreimal "Lulu" und schütten jedesmal einen Tropfen aus ihren Humpen auf den Boden (oder in den Aschenbecher). Das war ein "Trauerlulu". Denn Ritter Reglus ist verstorben.

Ihre Toten ehren die Schlaraffen auf ihre Weise. Unser Pilgervater, Ritter Parat, nimmt uns mit nach Limburg zur "Ahallafeyer". Einer trägt Verse auf den Tod seines Freundes vor, ein anderer ein Gedicht von Lenau. Ritter Konsonanz spielt den Trauermarsch des Ehrenschlaraffen Parsifal (Wagner). Ich fühle mich wie in einem empfindsamen Männerbund zur Zeit des Biedermeier.Zu den Klängen des Klavizimbel verliest der Fungierende die Namen der "Vorausgerittenen", der toten Schlaraffen der "Lympurgia": "Bibliophilo der Buchfink, Macadamus der Straßenbauer, Schnucki der Rostrascheue, Academicus der stille Zecher..."

Dann intoniert der Zinkenmeister Chopins "Marche funébre": Ehrenritt zum Ahallaschrein. Die Sassen formieren sich mit gezücktem Schwert, voran der Zeremonienmeister mit dem Uhustab, die Herrlichkeiten und Würdenträger des Reyches. Es ist große Oper im Hinterzimmer. Denn die Schlaraffen sind hier nur zur Untermiete bei den Freimaurern. In der Ahalla, eine Art Flügelaltar, sind Fotos der toten Ritter "für alle Zeiten aufgehängt". Davor brennen zwei blaue Kerzen. Nacheinander treten die Sassen vor den Schrein, senken ihr Schwert, verbeugen sich tief und treten ab mit dem erhebenden Gefühl: wer hier einreitet, ist nicht vergessen. Dann wird die Ahalla wieder geschlossen. Pathos und Poesie der schlaraffischen Totenfeiern, diese Mischung aus militärischem Zeremoniell und melodramatischem Trémolo, Kameradschaftsabend und schwarzer Messe: das fasziniert, ist paradox und bizarr wie alle Rituale der Uhuritter.

In schlaraffischer Symbolik gleicht die Ahalla dem Tabernakel und die Freundschaft dem Sakrament, das Lebende und Tote verbindet. Ein romantischer Freundschaftskult, keine Religion: Ein Oberschlaraffe ist kein Oberpriester und der Uhu kein höheres Wesen, sondern höherer Blödsinn.

Es gab Zeiten, da hatte die katholische Kirche Schwierigkeiten, das Heilige und das Humoristische zu trennen. Die kauzige Formel beim Ritterschlag: "Im Namen des Uhu, Aha und Oho"- war das noch Parodie oder schon Blasphemie? Wollte der Uhu der Taube ins Gehege?

Im selben Jahr, als die Nazis die Schlaraffia auflösten, 1935, verfügte Papst Pius XI.: Illam associationem a catholicis non esse frequentandam", Katholiken sollen keine Schlaraffen sein. Sogleich ritt Erbherrlichkeit Devast von der "Allmutter Praga" nach Rom. Ein Mißverständnis, natürlich. Es hätte nicht viel gefehlt "und seine Heiligkeit wäre selbst noch Schlaraffe geworden", schreibt in seinen Memoiren Ritter Ziehar, besser bekannt unter dem Namen Paul Hörbiger.

Inzwischen sind längst Priester und Ordensbrüder im Uhubund: Aber sein Verdikt hat der Vatikan bis heute offiziell nicht zurückgenommen. Weiß doch auch Hellmut Gruber, Vorsitzender des schlaraffischen Welt-verbandes (und Katholik): "Für manche ist Schlaraffia ein Religionsersatz."

Wer weder in die Kirche geht noch zu Bhagwan, aber etwas Höheres braucht; wer gerne singt, aber auch mal Gedichte machen will; wem bunte Abende nicht bunt genug sind, der Karneval zu kurz und zu banal; wer Freunde sucht, aber nicht in der Firma oder am Stammtisch: der findet all das in der Schlaraffia. Ein deutscher Gesamtkunstverein.

So sippen sie denn Woche für Woche in ihrer Burg, die letzten Ritter der Romantik. "Ein Abend in Schlaraffia muß das Gemüt erhöhen", singt Ritter Parat und erklärt dem Pilger: "Man braucht eine Traumseele. Für mich ist Schlaraffia ein warmes Bad, wo man wohlig eintaucht".

Das vor allem verbreitet der Uhubund: Nestwärme, weltweit. Ein Stück Gefühlskultur im Computerstaat. Ein bißchen Wahres, Gutes, Schönes. Heroische Heiterkeit gerade in widrigen Zeiten: "Und ob die Welt in ihren Fugen wanke, Schlaraffia treu zu sein, sei Euer Gedanke", geloben die Junker beim Ritterschlag, mit der Hand auf dem Uhu. "Es ist unsere Aufgabe", definiert Allschlaraffenrat Gruber in seiner Stuttgarter Villa, "das Leben einfach schön zu finden." Alles, was diese prästabilierte Harmonie stören könnte, wird in Schlaraffia ausgeklammert: Politik, Geschäft, Religion - und die Frauen. "Die Mitternachtsstunde, sie ist wieder da". Die Sippung geht zu Ende, der Zeremonienmeister löscht die blaue Kerze. Tief verneigen sich 38 seriöse Herren vor ihrem Uhu, fassen sich an den Händen und singen den Schlaraffenschwur: "...und bis zum letzten Atemzug/ laßt uns Schlaraffen bleiben."

© 1983 ZeitMagazin