"Kunst, Freundschaft und Humor", vom Wesen des Bundes Schlaraffia

Man erkundigt sich ab und zu, was denn die Schlaraffia eigentlich sei - ein Geheimclub, eine Loge, eine Sekte, eine akademische Korporation, ein seltsamer Orden oder eine Karnevalsgesellschaft? Nun, Schlaraffia ist nichts von allem.

Als im Jahre 1859 einige Künstler des damaligen "Deutschen Theaters" in Prag eine Vereinigung zur Pflege von Kunst, Freundschaft und Humor unter Bewahrung eines mittelalterlich-ritterlichen Zeremoniells gründeten, konnten sie sich sicher nicht vorstellen, daß ihr Bund, dem sie den Namen "Schlaraffia" gaben, fast 150 Jahre bestehen und sich auf der ganzen Welt ausbreiten würde.

Der Psychologe Huizinga schrieb in seinem Werke "Homo Ludens" -"...mit dem Schönen soll man nur spielen, und man soll nur mit dem Schönen spielen" - Schlaraffia ist ein schönes Spiel, das das Kind im Manne anspricht. Einmal in der Woche legt der Schlaraffe beruflichen Ernst und gesellschaftlichen Rang ab, wenn er als Ritter die Spielsphäre seiner "Burg" betritt. Er bekleidet sich mit einer Rüstung aus buntem Tuch und wappnet sich gegen die Unbill des profanen Lebens mit hölzernem Schwert. Er verneigt sich vor dem Symbol der Schlaraffia, dem allweisen Uhu, unter dessen Fittichen sich der Geist in ungeahnte Höhen emporschwingen kann. Wenn dann noch die schlaraffische Stimmung eine glückliche Konstellation herbeiführt, durchwirbeln güldene Bälle von Witz, Heiterkeit und freundschaftlicher Glückseligkeit die Ritterburg. "Es ist das Gemäuer der zufriedenen Gesichter" sagte einmal ein Gast, ein Pilger, den ich zu einer Sippung des hohen Reyches Paulista begleiten durfte.

Die Schlaraffen freilich sprechen auf der ganzen Welt, zwischen Stockholm und Pretoria, Berlin und Bangkok deutsch. In Wirklichkeit reden sie jedoch "Schlaraffenlatein". Gespräche über Religion, Politik und Geschäft sind verpönt. Sie essen, trinken und rauchen nicht wie normale Menschen, sondern sie atzen, laben und ergeben sich dem Luntengenuß. Sie laben weder Bier noch Wein, sondern Quell und Lethe. Ihre Währung zum Berappen besteht aus Rosenobel, Reychsmark und Uhudeut. Sie lassen ihre Lieder vom Clavizimbel, dem Seufzerholz und anderen ausgefallenen Instrumenten begleiten. Ihre Zeitrechnung ist das Uhujahr. Man befindet sich zur Zeit im Anno Uhui 148 nach der Gründung der Allschlaraffia und sippt nicht zwischen April und November, sondern vom Ostermond bis zum Windmond.

Der Schlaraffe fürchtet den "Burgschreck", die Schwiegermutter, und liebt seine Burgfrau oder Wonnemaid. Das alles steht in "Spiegel und Ceremoniale", des Schlaraffen Gesetzbuch und Knigge zugleich. Schlaraffen erkennen einander an der "Rolandnadel", einer kleinen weißen Perle im linken Rockaufschlag und begrüßen einander mit "Lulu". Gefällt ihnen etwas nicht, mißbilligen sie es mit "Ulul". Zwieträchtige Situationen werden im Duell mit geistig geschärften Waffen ausgetragen. Ganz schwere Fälle ad hoc mit einem Blitzduell.

Wer der Schlaraffia angehört, und das sind fast 11.000 Mitglieder in 274 Reychen und Feldlagern, kann der Stammrolle entnommen werden, einem dicken, blaugebundenen Buch, das alljährlich aufgelegt wird. Weitere 153 Reyche und Colonien, vor allem in Osteuropa, mußten aus militärpolitischen oder wirtschaftlichen Gründen ihre Pforten schließen. Ihrer wird in Liebe und Freundschaft bei jeder Sippung durch das Entzünden einer blauen Kerze gedacht. Sippungsfolge und jeweiliges Thema sind im "Vademecum" enthalten. Jede Sippung untersteht einem anderen Thema, man ehrt Größen aus dem Kunst-und Geistesleben, Goethe, Schiller, Shakespeare, von Eichendorff u.a.

Wenn der junge Schlaraffe nach drei Jahren des Sippens als Knappe und Junker endlich zum Ritter geschlagen wird, erhält er in weisem Unsinn seinen Ritternamen, der in der Regel etwas über Beruf und spezielle Neigungen aussagen soll. Ich kannte zwei Zahnärzte, von denen der eine "Ritter Gebissmarck", der andere beinahe japanisch "Futschisan d'Zahnli" hieß. Ein Freund, der bekannt dafür war, daß er Tag und Nacht Feste feierte, hieß demzufolge "Ritter Farra Day and Night".

Über jedes Reych bestimmt der weise Oberschlaraffenrat, dem die Wahlwürdenträger angehören, der vieledle Kantzelar, der gestrenge Junkermeister, der Marschall, Schatz-und Zeremonienmeister. Über ihnen in olympischer Entrücktheit, die Oberschlaraffen, denen die Anrede "Euere Herrlichkeit" gebührt. Aber auch andere wichtige Ämter müssen besetzt werden, vom Archivar, Burgvogt, Bannerträger, Wappen- und Adelsmarschall, Fanfaren-, Säckel- und Zinkenmeister zum Herold, Hofnarr, Mundschenk, Schwertträger, Schulrat und Truchseß, so daß während der Sippung jeder Sasse beschäftigt ist. Der schlaraffischen Tugenden Wichtigste ist jedoch das Fechsen, die Darbietung eines Vortrages von der Rostra, dem Rednerpult, in Prosa, Lyrik oder Musik, dem Reyche und sich selbst zur Freude und der blauen Blume der Romantik zur Ehre. Wird die Fechsung zu lange, tritt die Schere in Tätigkeit und schneidet den Faden der Rede ab.

Der Schlaraffia gehörten viele berühmte Schriftsteller, Maler, Dichter, Musiker und Schauspieler an wie Peter Rosegger, Girardi, Ganghofer, Franz Lehar, Oscar Strauss, Willy Birgel, Paul und Attila Hörbiger. In Brasilien gab es Schlaraffen, die ein beachtliches literarisches und künstlerisches Gepäck hinterließen. Der Indianerforscher Mario Baldi, der Arzt Dr.Alexander Lenard (Die Kuh auf dem Bast u.a.), Dr.Carlos Hunsche mit Werken über die deutsche Einwanderung, der Journalist Paul Hatheyer, der Pionier der brasilianischen Strahlenheilkunde, Dr. Carl Fried, der Blumenmaler Carlos Klanke, der Dramaturg B.A. Aust. Ferner gibt es Burgfrauen , denen wir interessante Werke verdanken, wie Frau Dr. Kux (Belo Horizonte) mit einer Arbeit über Adelbert von Chamisso und Dipl. Ing. Helmtraud Herta Babnigg (Porto Alegre) mit Reise-und Erlebnisbüchern.

Der Landesverband Schlaraffia Lateinamerika zählt 216 Sassen in 9 Reychen (São Paulo, Rio de Janeiro, Curitiba, Porto Alegre, zwei Reyche in Buenos Aires, ferner je eines in Quito, Bogotá und Caracas).

Herausgegeben in der Brasil Post, São Paulo, 13. Juli 2007
© Dr. Rudolf Robert Hinner (Rt Moravist von Bobbylonien)